Liebe Gemeinde,
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich liebe Kirchen – und zwar mit allen Sinnen: die kühle Luft auf der Haut, die Höhe des Raums, die aufatmen lässt, die Mauern und Steine, durchdrungen von Abertausenden Psalmen, Bitten, Dank- und Lobgebeten, das gedämpfte Licht, die Farbenpracht der Buntglasfenster, der Duft von altem Gemäuer und Bienenwachskerzen, die Stille – und die Orgel, die die Stille unterbricht. Ich könnte noch lange mit der Aufzählung fortfahren, was mich an Kirchen anzieht und unweigerlich in sie hineinzieht. Es sind gar nicht nur die besonders alten Kirchen und ehrwürdigen Kathedralen, die mich faszinieren. Jede Epoche, jede Region, jede Gemeinde findet ihre eigenen Ausdrucksformen dafür, einen Raum für Gottesdienste zu schaffen. Mit meinem Mann zusammen habe ich den kleinen Kirchenführer für die Kirche im Gemeindezentrum Hohenheim verfasst und wir waren begeistert davon, was es auch in dieser erst gut 50 Jahren alten Kirche zu entdecken gibt. Ihr Architekt, Heinz Rall, wäre übrigens in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden.
Aber heute soll es um eine Kirche gehen, die nicht nur viel älter, sondern auch um Größenordnungen bekannter ist. Dreifach berühmt ist sie, die Kathedrale Notre-Dame de Paris. Sie ist in mehreren Bauabschnitten über 200 Jahre hinweg errichtet worden und wurde 1345 fertiggestellt. Notre-Dame ist nicht nur das Herz von Paris, sondern gehört immer schon zu den meistbesuchten Kirchen Europas. An ihr wird besonders deutlich, dass Kirchen nicht nur Gottesdiensträume sind, sondern weit mehr: Zeichen einer kulturellen – in diesem Fall auch einer nationalen – Identität und Zeugnisse umstürzender Ereignisse, aber auch ruhigen Alltags in einer langen Geschichte. So ist die Königsgalerie an der Westfassade ein Sinnbild der Vereinigung von Kirche und Monarchie. Eigentlich stellten die Figuren die biblischen Könige von Juda dar, aber schon zur Zeit ihrer Errichtung wurden sie für die Könige Frankreichs gehalten. Während der französischen Revolution wurden sie als Symbol für den Herrschaftsanspruch der Monarchie zerstört. Die Kirche wurde vorübergehend entweiht, aber im Gegensatz zu vielen anderen nicht abgerissen. 1804 krönte sich Napoleon I. selbst zum Kaiser: ein die Geschicke ganz Europas bestimmendes Ereignis, das in den Mauern dieser Kathedrale stattfand.
Der zweite Grund, warum Notre-Dame de Paris uns zurzeit besonders gegenwärtig ist, liegt gerade eineinhalb Jahre zurück: der Brand des Dachstuhls, der den höchsten Teil der Kirche, den Vierungsdachreiter zum Einsturz brachte. Bestürzung herrschte nicht nur in Frankreich, sondern weltweit war die Anteilnahme groß. Auch der Papst äußerte seine Trauer über den Brand des „Symbols der Christenheit in Frankreich und der Welt“. Die Diskussionen über den Wiederaufbau sind erst kürzlich zugunsten der historischen Wiederherstellung gefallen. Deutschland hat als Zeichen für die deutsch-französische Freundschaft finanzielle Hilfe und Unterstützung durch die Kölner Dombauhütte angeboten.
Und der dritte Grund für die Berühmtheit der Kathedrale schließlich ist der Anlass unserer heutigen Predigt: der Roman von Victor Hugo, seinerseits ein Stück Weltliteratur. Er erschien 1831, spielt aber im Mittelalter, als die Kirche noch vergleichsweise jung war: knapp 150 Jahre nach ihrer Fertigstellung. Auf deutsch heißt das Buch „Der Glöckner von Notre-Dame“.
Aber nicht der bucklige Quasimodo, der auch durch den Zeichentrick-Film von Walt Disney bekannt wurde, ist die Hauptfigur des Romans. Die Hauptperson ist die Kathedrale selbst. Darum hat Victor Hugo seinem historischen Roman auch den Titel „Notre-Dame de Paris“ gegeben und noch die Jahreszahl 1482 ergänzt. Ihrer ausführlichen Beschreibung und ihrer Lage und Rolle im mittelalterlichen Paris widmet der Autor viele Seiten. Wie er in der Vorrede ausführt, war es ein Besuch in der Kirche und eine Entdeckung dort, die ihn zum Schreiben bewogen. Ein griechisches Wort, in die Mauer geritzt, geheimnisvoll und mit düsterer Bedeutung, machte der Romantiker zur Keimzelle der dramatischen Ereignisse um Esmeralda, Quasimodo und den Priester Claude Frollo: Anagke, auf deutsch Zwangsläufigkeit, Schicksal oder Verhängnis. Wer wohl die gepeinigte Seele gewesen sein mochte, die dieses Mal an der Stirn der alten Kirche hinterlassen hat, fragt Hugo sich (9 f.). Und was er sich geantwortet hat, lesen wir dann auf den folgenden gut 600 Seiten.
Aber für Hugo war Notre-Dame nicht nur Stichwortgeberin für eine herzzerreißende Geschichte aus der Vergangenheit, sondern es ging ihm ganz wesentlich um die Kirche selbst: um die Klage über die Verstümmelungen, die ihr in seiner Gegenwart im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts drohten, Beschädigungen und Verstümmelungen von innen und von außen, wie er ausdrücklich schreibt. Sein Plan ging auf: Der Roman, in dem Notre-Dame die Hauptrolle spielt, rückte seinem Pariser Publikum die Schönheit der Kathedrale wieder ins Blickfeld. Das Buch und sein Erfolg trugen maßgeblich zu der 1844 getroffenen Entscheidung bei, die Kirche umfassend zu restaurieren. 20 Jahre lang wurde an der Kirche gearbeitet und es wurden unter anderem viele beschädigte oder fehlende Skulpturen ersetzt und neu geschaffen. Und auch jener Dachreiter wurde im Zuge dieser Maßnahmen errichtet, der im April 2019 vor den Augen der Weltöffentlichkeit brennend zusammenstürzte und nun originaltreu wiederaufgebaut werden soll.
Wie Victor Hugo vorgegangen ist, möchte ich Ihnen gleich an einigen Beispielen zeigen. Aber Sie sind heute Morgen nicht zu einem Vortrag über Kirchenbauten gekommen, sondern in den Gottesdienst, und Sie sind hier, um eine Predigt zu hören. Darum möchte ich drei Bibelstellen ins Gespräch bringen, und zwar drei Stellen über den Tempel in Jerusalem. Der Jerusalemer Tempel war für die Baumeister der mittelalterlichen Kirchen ein Vorbild als der Ort, wo Gott gegenwärtig ist, wo er seinen heiligen Namen wohnen lässt, wo er verehrt, gelobt und angerufen werden will.
Psalm 84, den wir zu Anfang gebetet haben, bringt die Freude am Hause Gottes zum Ausdruck. Wie lieblich, wie schön sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des HERRN; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott. Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar. … Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend.
Auch Victor Hugo spart nicht mit Bewunderung für die Schönheit „dieser alten Königin unsrer Dome“, wie er sie nennt. „Eine der herrlichsten Ruhmestaten der Baukunst ist doch gewiß diese Fassade. … Alle Teile verschmelzen harmonisch zum prächtigen Ganzen. … Eine ungeheure steinerne Symphonie ist diese Fassade, … einheitlich und doch zusammengesetzt, … eine menschliche Schöpfung, die reich und machtvoll ist wie die göttliche Schöpfung selbst, von der sie das Doppelantlitz ‚Vielheit und Einheit‘ entlehnt zu haben scheint. Was wir hier von der Fassade gesagt haben, das gilt für die ganze Kirche“ (149 ff.), so Hugo.
In dieser Kirche wird der Glöckner von Notre-Dame als einäugiges, buckliges, krummbeiniges Findelkind an dem dafür vorgesehenen Ort abgelegt und vom Priester Claude Frollo adoptiert, getauft und Quasimodo genannt nach dem Sonntag, an dem er gefunden wurde: Quasimodogeniti ist der Name des 1. Sonntags nach Ostern. Hugo schreibt, dass Quasimodo in der Kirche aufwuchs und sie praktisch nie verließ, „Notre-Dame war für ihn im Laufe seines Wachstums und seiner Entwicklung nacheinander Ei, Nest, Haus, Vaterland und Weltall.“ (192) Für den Jungen, der immer enger mit der Kirche verwuchs, wurde also wortwörtlich wahr, was der Psalmist schreibt: „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott. Wohl denen, die in deinem Hause wohnen.“ Besonders liebte Quasimodo die Glocken, deren Läuten ihn jedoch tragischerweise auch noch taub werden ließen. Dennoch war das große Geläut an Festtagen sein ganzes Glück, das ihn bis zur Raserei begeisterte.
Hugo hat in seinem Roman die Linien, mit denen er fast alle seine Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller gezeichnet hat, ins Extreme ausgezogen. Ihr Erscheinungsbild, ihre Gefühle und das, was ihnen an Schicksalhaftem widerfährt – das alles lässt sich nicht mehr steigern. Quasimodo ist also ebenso grotesk hässlich wie Esmeralda makellos schön ist. Und auch die Verbindung des jungen Glöckners zu seiner Kirche sprengt jedes menschliche Maß: Er wird einerseits vollständig nach ihrem Bild geformt und andererseits als der Geist und die Seele beschrieben, die Notre-Dame lebendig machen. Quasimodos Tod, schreibt Hugo, hat die Kathedrale als hohlen Körper, als Skelett und Schädel mit leeren Augenhöhlen zurückgelassen (200). So weit geht sicher kaum eines Menschen Liebe zum Hause Gottes. Aber das Aufgehobensein in einer höheren Ordnung, diese Geborgenheit wie ein Vogeljunges im Nest, die empfinden viele, wenn sie eine Kirche betreten – und ebenso diese tiefe Freude am Schönen, am Harmonischen, an der Vielheit und Einheit, die in Kirchen so oft bestaunt werden können.
Der zweite Bibeltext, den ich ins Gespräch mit Hugos Roman bringen möchte, ist die Tempelreinigung durch Jesus, die in allen vier Evangelien erzählt wird. Hier soll die Fassung aus dem Johannesevangelium, Kapitel 2, zur Sprache kommen:
Und das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!
Wie alle Juden seiner Zeit feiert auch Jesus die großen jüdischen Feste am Zentralheiligtum, dem Tempel in Jerusalem. Dort findet er das übliche geschäftige Treiben vor, das sich vor den Opfern am Passafest noch einmal verstärkt – und er gerät in heftige Wut. Auch vor Gewaltanwendung schreckt er nicht zurück. Was ihn empört: Das Haus Gottes, das Haus seines göttlichen Vaters, ist nicht alleine Gott vorbehalten.
Menschliche Interessen – in diesem Fall Handel, Geldwechsel, Gewinnstreben – haben sich in den Vordergrund gedrängt. Jesus hat kein Problem mit der Opferpraxis im Tempel; er ist schließlich sein bevorzugter Aufenthaltsort. In Lukas 2 wird erzählt, dass seine Eltern dort, wie im Gesetz des Mose vorgeschrieben, mit Tauben das Opfer für ihren Erstgeborenen dargebracht haben; diese Tauben haben sie wahrscheinlich wie es üblich war, vor Ort – also bei den Händlern im Tempel – gekauft. Auch der Umgang mit Geld im Tempelbezirk ist es nicht, der ihn in Rage bringt. Als es um das Scherflein der Witwe geht, kann er das in aller Ruhe kommentieren. Es geht ihm bei der Tempelreinigung um etwas Grundsätzliches. Es geht um das Eindringen menschlicher Pläne und Vorsätze in das Haus Gottes, in diesen heiligen Raum, der eigentlich ausgesondert ist aus den Alltagsgeschäften und -bestrebungen und nur dem Lob und der Anbetung des himmlischen Vaters dienen sollte. Ob es nun finanzielle Interessen sind oder politische Ziele oder familiäre Bezüge oder einfach das Geltungsbedürfnis und die üblichen Rivalitäten unter den Verantwortlichen, das alles mischt sich hinein, wenn es um das Haus Gottes geht, sei es um den Tempel oder um eine Kirche.
Wir haben vorhin gehört, dass in erster Linie so bedeutende Kathedralen wie Notre-Dame davon nie frei waren. Bis heute ist sie als Wahrzeichen Frankreichs mit hoher nationaler Symbolkraft aufgeladen. Kirchen waren und sind außer sakralen Gebäuden immer auch soziale, kulturelle und politische Räume. Keine einzige ist von diesen Doppeldeutigkeiten ausgenommen – und wenn es nur um das Überlegenheitsgefühl der Dorfgemeinschaft geht, weil die eigene Kirche einen höheren Turm hat als die im Nachbardorf. Kirchen wurden und werden nie nur zur Ehre Gottes, sondern immer auch zum eigenen Ruhm gebaut und unterhalten. Dass das so ist, heißt jedoch nicht, dass es gut ist, dass es so ist. Jesus hat mit Nachdruck bekräftigt, was im Alten Testament das oberste Gebot ist: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Und eben nicht mit halbem Herzen, mit abgelenktem Denken und geteilter Kraft.
Gegen diese Konkurrenz, die Gott aus der Halbherzigkeit von uns Menschen erwächst, hat sich Jesus stellvertretend für den Tempel zur Wehr gesetzt. So wie er für das Haus seines Vaters in die Bresche gesprungen ist und es von den Zeichen menschlicher Selbstsucht gereinigt hat, so beschreibt auch Victor Hugo in einer grandiosen Szene, wie seine Hauptdarstellerin Notre-Dame de Paris sich gegen Bedrohung und Vereinnahmung wehrt: Als die Kathedrale gestürmt werden soll, scheint es den Angreifern, „als zerstöre die Kirche sich selbst, um sie zu verderben“ (546). Sie merken, dass sie es nicht schaffen, die verschlossene Tür mit Gewalt aufzubrechen und ihr Anführer flucht „Eine alte verhexte Kirche! … Es gibt Kirchen, die sich selbst verteidigen. Die Hagia Sophia in Konstantinopel hat vor vierzig Jahren dreimal hintereinander den Halbmond des Mohammed von ihren Kuppeln geschüttelt. Die Kuppeln sind Köpfe müßt ihr wissen. Die Kirche hier hat Guillaume von Paris gebaut, und der war ein Zauberer“ (551 f.). Ein aktuelleres Beispiel als die Auseinandersetzung um die Hagia Sophia dafür, dass es bei Gotteshäusern nie allein nur um Gottes Ehre, sondern immer auch um unsere Selbstbehauptung als Menschen geht, lässt sich wohl kaum finden.
Zum Abschluss soll noch eine dritte Bibelstelle zu Wort kommen, das vorletzte Kapitel der Offenbarung. Darin geht es um das neue Jerusalem, das aus dem Himmel herab zu den Menschen kommt, schön wie eine geschmückte Braut, schön wie die Herrlichkeit Gottes selbst. Die Stadt fließt über von den kostbarsten Materialien, von Gold, Perlen und Edelsteinen und ist dabei doch klar und durchscheinend wie Glas. Auch dieses Bild vom neuen Jerusalem, das uns in Offenbarung 21 vor Augen gemalt wird, ist zu einem Vorbild und immer wieder zitierten Element im mittelalterlichen Kirchenbau geworden. Das Hauptportal von Notre-Dame stellt das Jüngste Gericht dar, aber die Füße des richtenden Christus ruhen auf den Zinnen des neuen Jerusalem. Worum es heute geht, ist der Vers 22. Dort heißt es nach einer Beschreibung der Straße der Stadt: Und ich sah keinen Tempel darin; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm.
Victor Hugo beschließt die Vorrede seines Romans mit der Klage, dass Notre-Dame nach all den Verstümmelungen von außen und von innen bald vom Erdboden verschwinden wird. Was im Roman düstere Prophezeiung ist, wird im Bibeltext zur Verheißung. Im neuen Jerusalem wird es das nicht mehr geben: von Menschen erbaute Gotteshäuser im Zwiespalt zwischen der Verherrlichung Gottes und menschlichen Interessen. Alles Fragwürdige und Doppeldeutige wird vergangen sein zusammen mit dem ersten Himmel und der ersten Erde. Die Konkurrenz zwischen Menschen, Dörfern, Staaten und Religionen, die so viel Leid und Schmerz verursacht, wird nicht mehr sein. Keine Kirchen, keine Tempel, keine Moscheen werden auf der neuen Erde mehr zu sehen sein, denn Gott selbst wird an die Stelle treten, wo die Menschen ihm nahekommen wollen. Gott selbst wird ihr Tempel werden.
Das ist die Zukunft, der wir entgegensehen und entgegengehen dürfen: die Hoffnung darauf, wie es in Vers 4 heißt, dass Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Von dieser Zukunft her betrachtet erscheint die Liebe zu Kirchen in einem anderen Licht – auch die innige Verbundenheit mit der eigenen Heimatkirche. Im Licht dieser Zukunft kann eine Kirche nicht das höchste Gut sein, für das es mit Zähnen und Klauen zu kämpfen gilt. Sie ist nie das Letzte, sondern immer nur das Vorletzte. Wir leben jetzt im Vorletzten, sind aber schon voller Hoffnung ausgestreckt nach dem neuen Himmel und der neuen Erde.
Darum haben wir als Christenmenschen auch die Freiheit zu beidem: Wir dürfen uns zusammen mit den Beterinnen und Betern des Psalms 84 nach Herzenslust an den Gotteshäusern auf der alten Erde freuen. Aber wir sind auch frei, unsere Kirchenbauten hier und jetzt aufzugeben und sogar abzureißen, wenn es gute Gründe dafür gibt und wir damit einen Beitrag zum Frieden leisten können. Denn wir setzen unsere Hoffnung nicht auf Gebäude von Menschenhand. Uns ist das neue Jerusalem verheißen, die Hütte Gottes bei den Menschen. Wir sind unterwegs in diese Zukunft, in der Streit, Geschrei und Leid nicht mehr sein werden und Gott selbst uns Tempel und Kirche ist.
Amen.
Schönberg, 13. September 2020
Karin Bassler
______________________________________________________________
Die Seitenzahlen beziehen sich auf das Insel Taschenbuch von 2018.