Geboren am 28. September 1920 in Stuttgart wurde Heinz Rall in der 1898 eingeweihten neogotischen Pauluskirche getauft und konfirmiert. 1944 und 1945 wurde die Kirche durch Luftangriffe vollständig zerstört (und später von 1956 bis 1961 durch Rall neu errichtet). Nach dem Abitur war er von 1939 an Luftwaffenpilot und flog gemeinsam mit seinem Schulfreund und späteren Partner, Hans Röper (1921–2014), von 1942 bis 1945 zahlreiche Angriffe, um Städte und feindliche Stützpunkte in Schutt und Asche zu legen. Sein Entschluss, als Architekt wenigstens etwas zum Wiederaufbau beizutragen, wuchs nach der ursprünglichen Begeisterung für das nationalsozialistische Regime in den letzten Kriegstagen.
Von 1947 bis 1953 studierte er zusammen mit Hans Röper bei Hans Volkart und Rolf Gutbrod – beide Schüler von Paul Bonatz – in Stuttgart an der Technischen Hochschule und schloss das Studium als Architekt und Diplomingenieur ab. Ab 1950 arbeitete er bei Hans Volkart im Büro mit. 1953 begründete er gemeinsam mit Hans Röper ein Architekturbüro in Stuttgart, 1960 eröffnete er sein eigenes Büro und firmierte als „Rall und Partner“. 1987 zog er mit seiner Lebenspartnerin und späteren Frau, der Künstlerin Ursula Stock, nach Güglingen. Dort hatte er ausgehend vom Umbau der Mauritiuskirche (1976/77) eine komplette Stadtkernsanierung durchgeführt und engagierte sich für zahlreiche künstlerische und architektonische Belange der Stadt, u. a. den Aufbau des Römermuseums Güglingen. Heinz Rall starb im Alter von knapp 86 Jahren am 29. August 2006 in Güglingen und wurde dort bestattet.
Ein bedeutender Schwerpunkt seines Werks waren Kirchenbauten. Allein 20 evangelische Kirchen entwarf und errichtete er zwischen 1956 und 1969 gemeinsam mit seinen Partnern; unter Denkmalschutz stehen die Paul-Gerhardt-Kirche in Böblingen, die Versöhnungskirche in Leonberg und die Kreuzkirche in Ludwigsburg. Ralls Büro gewann v.a. im Bereich der württembergischen Landeskirche so viele Wettbewerbe, dass manche seiner Kollegen witzelten: „Klarer Fall, Jesus Rall“ (Ohnewald). Die Kirche in der städtischen Wohn- bzw. Neubausiedlung betrachtete Rall als wichtigste Kirchenbauaufgabe seiner Zeit und den Kirchenbau insgesamt empfand er als eine der „schönsten, aber auch umstrittensten Herausforderungen für einen Architekten“. Baden-Württemberg nahm bis 1961 etwa 1,6 Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge auf, dazu kam der allgemeine Bevölkerungsanstieg, so dass ungefähr 1600 neue Kirchen zwischen 1945 und 1980 im Land errichtet wurden.
Er vertrat eine klare Abkehr von traditionellen kirchenbaulichen Raumlösungen wie sie vielerorts bis weit in die 1960er Jahre zu finden waren. Die streng axiale Ausrichtung der Gemeinde auf die deutlich erhöhten und fest montierten Prinzipalstücke Altar und Kanzel lehnte er ab und bevorzugte konzentrische Raumvorstellungen mit flexibel kombinierbarem Gestühl. Es war Ralls erklärtes Programm, einem vielfältigen Gemeindeleben und neuen, auch experimentellen Gottesdienstformen Raum zu geben: „Der Wandel von der Sonntagskirche zur Alltagskirche drückt sich auch in der baulichen Gestaltung aus,“ nicht selten auch durch die enge Einbeziehung des Gottesdienstraumes in ein Gemeindezentrum. Bei aller Betonung der Variabilität seiner Kirchenräume war Rall jedoch kein Vertreter von Allzweckräumen, wie von Werner Simpfendörfer in Bad Boll propagiert. „Was wir … nicht wollten, war die Beliebigkeit eines Kirchenraumes, der sogenannte Multifunktionsraum, der für Veranstaltungen aller Art geeignet sein sollte.“ Schon 1959 machte er deutlich, dass sein Architekturbüro „trotz aller Ablehnung eines pseudosakralen Stiles“ Kirchen baut, bei denen „jeder erkennen kann: das ist ein Gotteshaus. Keine nachträglich aufgesetzten Symbole sollten aus einem Zweckbau eine Kirche machen.“
Wenn es nicht traditionelle, christliche Symbole und biblische Figuren sind, die ein Haus zu einem Gotteshaus machen, dann muss dessen Besonderheit durch andere Mittel erreicht werden. Rall und seine Partner nutzten dafür vor allem drei Ansätze:
◻︎ Einfachheit, Einheitlichkeit und Ruhe in Formen, Farben und Materialien.
◻︎ Einen Schwerpunkt auf die konstruktive Ausbildung von Raumdecken, Wänden und Lichteinfall.
◻︎ Organische Integration von Bildern und Plastiken, die durch intensive Zusammenarbeit mit modernen Künstlern erreicht wird.
In Bezug auf seine eigenen Kirchenbauten schreibt Rall 2001 rückblickend: „Die Kirchen der Nachkriegszeit sind oftmals karg und spröde - aber sie sind der Spiegel einer Zeitepoche. ... Was ihnen nicht gut anstünde sind Veränderungen, die die Klarheit und die Kraft des Raumes schmälern und eine ,Verschönerung‘ durch nachträgliche dekorative Ausschmückung.“
TuK Bassler, Visit-a-Church.info (2017)
Zuletzt geändert 16.02.2020
De Gennaro, Enrico (Hg.): Heinz Rall - Kirchenbauten. Fotografien von Rose Hajdu, Schriftenreihe des Römermuseums Güglingen, 2020.
Gräf, Ulrich, Reinhard Lambert-Auer (Hg.): 25 Jahre evangelischer Kirchenbau RALL und PARTNER 1955 – 1980, Verein für Kirche und Kunst in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Stuttgart 2001.
Ludwig, Matthias: Leonberg-Ramtel. Ev. Versöhnungskirche, http://www.strasse-der-moderne.de/portfolio/leonberg-ramtel-ev-versoehnungskirche/, abgerufen 16.02.2020.
Ohnewald, Michael: Der Architekt – Mit dem Mut zur Größe, Stuttgarter Zeitung, 11.04.2006.
Rall, Heinz: Güglingen – Erneuerung einer Stadt, Forum Verlag, Stuttgart 1995.
Rall, Heinz: Historische Kirchen im Zabergäu und Umgebung, Forum Verlag, Stuttgart 2003.
Rall, Heinz: Vorgestern über dem tunesischen Bergland abgeschossen … Ein Zeitzeuge erinnert sich, Wachter Verlag, Heidelberg 2004.
Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege (Hg.): Gotteszelt und Großskulptur. Kirchenbau der Nachkriegsmoderne in Baden-Württemberg, Arbeitsheft 38, Esslingen 2019.
Simpfendörfer, Werner: Profanität und Provisorium, in: Bahr, Hans-Eckehard (Hg.), Kirchen in nachsakraler Zeit, Hamburg 1968.
TuK Bassler, Gemeindezentrum Hohenheim, Ev. Kirchengemeinde Plieningen-Hohenheim, Stuttgart 2017.
Wikipedia: Heinz Rall, https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Rall, abgerufen 07.05.2017.
Wittmann-Englert, Kerstin: Zelt, Schiff und Wohnung. Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne, Lindenberg im Allgäu 2006.